Pferdefuhrleute in Wittgenstein

Seit der Züchtung des Pferdes als Haustier und der Erfindung des Wagenrades wurden Pferdegespanne zur Beförderung von Lasten genutzt. Der Beruf des Fuhrmannes entwickelte sich. Mehrere Handelsstraßen verliefen durch Wittgenstein und Namen wie Salzweg, Eisen- und Kohlenstraße sind bis heute erhalten geblieben. Entlang dieser Straßen entwickelte sich ein Fuhrmannswesen. Verschiedene Zollstellen kassierten Wegegeld. Aber das Leben als Fuhrmann war nicht ungefährlich. Neben der harten Arbeit hatten die Fahrer mit Räubern, wilden Tieren und den Unbilden der Natur zu rechnen . 

Kurz vor dem Festplatz in Stünzel steht in der Hecke der "Mordstein", der an den Überfall auf einen Fuhrmann aus Oberhundem erinnert. Im Jahre 1678 fuhr er mit seinem Gespann auf dem Salzweg. Bei Stünzel lauerten ihm Wegelagerer auf, beraubten und ermordeten ihn. 1763 wurde der Kaufmann Winter aus Berleburg zwischen Hatzfeld und Eifa um 70 Taler beraubt und angeschossen. Er starb später an seiner Verletzung. Der Fuhrmann Ludwig Birkelbach aus Sassenhausen wurde im harten Winter 1680/81 auf der Fahrt zur Mühle nach Erndtebrück vermißt. Fünf Wochen später fand man ihn bei Melbach in einer Schneewehe erfroren. 1753 versuchte ein kölnischer Fuhrmann die Treibeis führende Eder bei Beddelhausen auf seinem Pferd zu durchqueren. Die Gewalt der Eisschollen warf beide um, der Reiter ertrank, daß Pferd rettete sich. Vier Pferde ertranken 1756 in Laasphe, als eine herrschaftliche Kutsche bei Laasphe in die Lahn stürzte. 

Über die Fuhrleute berichtet Wolfgang Birkelbach in dem Buch "Schameder - Ein Dorf zwischen Vergangenheit und Gegenwart", aus dem nachfolgend einige Auszüge frei wiedergegeben werden .
Wegen der erheblichen Straßensteigung von Rüppershausen zum Dill ließ die preußische Regierung von 1836 bis 1840 die Straße von Saßmannshausen über Holzhausen, Leimstruth und Schameder nach Erndtebrück bauen. Die verkehrsgünstige Lage Schameders an der Straße war für seine Bewohner schon immer von Bedeutung. Fast alle alteingesessenen Familien betrieben neben der Landwirtschaft ein Fuhrgeschäft, um die Einkünfte zu verbessern. Einst fuhren diese Fuhrleute Holzkohle für die Erndtebrücker Hammerwerke. Als im 17. Jahrhundert die Erndtebrücker Pulvermühle erbaut wurde, konnten die Fuhrleute noch ein weiteres Jahrhundert ihrem Beruf nachgehen. 

 

Darüber hinaus betrieben einige noch einen Mehl- und Getreidehandel, ja sogar Gewürzhandel.
In Schameder erinnert noch ein kleines Gebäude bei "Hermes" an der Hauptstraße an die Fuhrmannszeit. Oben wurden Obst und Getreide aus Hessen gelagert und unten waren die Pferde eingestellt. Die Landesprodukte wurden weit über die Grenzen Wittgensteins hinaus befördert. Die Pulvertransporte der Erndtebrücker Pulvermühle gingen hauptsächlich nach Mitteldeutschland und Schlesien. Die gewöhnlich mit vier Pferden bespannten Kastenwagen waren anfänglich mit leinenen Tüchern und später mit verzinkten Blechen abgedeckt. Sie waren durch ein blaues Fähnchen mit einem weißen "P" gekennzeichnet. 

Auf dem Weg zu ihrem Bestimmungsort mußten sie bestimmte Routen einhalten und gut Abstand voneinander halten. Während des mehrwöchigen Transportes betrieb man Pferdehandel, mit den zu solchen Transporten extra erworbenen, weniger guten Vorspannpferden. Am Ziel - mitunter Hamburg, Magdeburg, Dresden oder auch Breslau - verkauften die Fuhrleute diese und kehrten mit den übrigen beiden und dem Wagen zurück. 

Durch den Bau der Eisenbahn, die ab 1883 auch das Wittgensteiner Land erreichte, erhielten die Fuhrleute eine starke Konkurrenz. Hinzu kam die Schließung der Erndtebrücker Pulvermühle. Die Fuhrleute waren noch mit dem Transport von Holz für heimische Sägewerke tätig, aber die Entwicklung des Verbrennungsmotors und die Automobilisierung taten ihr übriges. Einige wechselten vom Pferdegespann auf den Trecker oder Lastkraftwagen und konnten so ihr Fuhrgeschäft retten. Andere aber gingen diesen Schritt nicht und so ging der traditionelle Beruf des "Fernfuhrmanns" und das Fuhrmannswesen unter. In Wittgenstein blieben einige reine Fuhrgeschäfte übrig, die sich auf den Transport bestimmter Waren, wie Baustoffe, Milch, Heizöl oder Holz spezialisierten. 

Bis in die vierziger und teilweise fünfziger Jahre waren es jedoch Pferde, die ihren Konkurrenten den Schnee räumen mußten. Mit pferdebespannten Schneepflügen wurden die wichtigsten Verbindungsstraßen frei gehalten. Aber nicht nur zum Transport von Waren wurden Pferde genutzt. Auch die Post- und Personenbeförderung erfolgte mit Kutschen, die bestimmte Linien regelmäßig befuhren und meist bei Gasthöfen Halt machten. Aber auch sie wurden mit dem Bau der Eisenbahn überflüssig. 

 

Quelle: Festschrift 50 Jahre Pferdezuchtverein Wittgenstein e.V.