Zur Beurteilung der Entwicklung der Pferdezucht vor dem Jahr 1948 sei hier ein Bericht aus einer Schrift des landwirtschaftlichen Kreisvereins zitiert:
"Von alters her war die Wittgensteiner Pferdezucht berühmt gewesen. Vor allen Dingen die Grafen von Wittgenstein-Berleburg widmeten diesem Zweige der Viehzucht ihre besondere Fürsorge. Aus alten Akten, Niederschriften und auch aus der statistischen Beschreibung des Kreises Wittgenstein, herausgegeben 1875 von Landrat v. Schroetter, können wir entnehmen, daß die Haltung von Zuchthengsten in der Grafschaft Berleburg ausschließlich den Grafen zustand. Wie v. Schroetter angibt, mussten alljährlich im Frühjahr sämtliche Fohlen der Grafschaft, oft 200 bis 300 Stück, im Schlosshofe vorgeführt werden, um dort einen Brand im gräflichen Namenszug zu erhalten. Der regierende Graf hatte dann außerdem das Recht, sich von diesen Fohlen diejenigen, die ihm gefielen, zu einem gewissen Taxpreise auszuwählen. Die Fohlen wurden dann auf einer einsamen, im Gebirge gelegenen Fohlenweide aufgezogen und waren gegen Witterungsunbilden sehr abgehärtet. Für die Unterhaltung des großen gräflichen Pferdebestandes mußten die Bauern damals Naturallieferungen, namentlich Hafer entrichten. Bekanntlich wurden später diese Abgaben und Frohnden abgelöst und darauf kam dann auch die seinerzeit blühende Pferdezucht allmählich zum Erliegen.
Über das Aussehen des Berleburger Pferdes gibt uns ein Artikel, der von einem unbekannten Verfasser im Jahre 1858 im Wittgensteiner Kreisblatt unter der Überschrift "Das Percheron-Pferd" erschienen war, Auskunft. Ein Pferd mittlerer Größe mit feinem Kopf, freien, lebhaften Augen, glatter Stirn, hochgewölbter Nase, etwas gebogenem Hals, weiter Brust, schön gerundeten kurzen, kraftvollen Schenkeln, dabei lebhaft und graziös, namentlich im Trabe, außerdem auch willig und fromm.
Nach dieser Schilderung kann man wohl annehmen, daß das Berleburger Pferd ein ähnlicher Typ gewesen war wie das Senner- oder das Beberbecker-Pferd, also vermutlich ein Tier im kleinen Rahmen, mit etwas Ramskopf und mit Beimischung einer ganz guten Portion edlen, unter Umständen arabischen Blutes.
Der landwirtschaftliche Kreisverein suchte das Interesse der Pferdezucht wieder zu erwecken, indem er z.B. auf dem Stünzel Prämien für beste Zuchtstuten aussetzte, ja sogar dort Hindernisrennen mit Bauernpferden veranstaltete (1841). Alle diese verschiedentlich unternommenen Versuche, zur Hebung der Pferdezucht sind stets nach ganz kurzer Zeit, wie wir noch sehen werden, wieder in sich zusammengebrochen.
Im Jahre 1835 wurde bekanntgegeben, daß im Fürstlichen Gestüt in Berleburg ein vorzüglicher Beschäler, Neustädter Rasse, vorhanden sei. Dieser wird den Wittgensteiner Bauern zur Benutzung wärmstens empfohlen. Außerdem hat der Kreisverein, wie wir aus einer späteren Schilderung entnehmen können, anscheinend schon damals beschlossen, das halbe Deckgeld zu übernehmen. Daß dieser und der schon vorher geschilderte Versuch zur Hebung der Pferdezucht gescheitert ist, entnehmen wir aus der Abschlußrede des Landrates Groos im Jahre 1851. Groos sagte damals, der Verein hätte leider nicht die früher weithin rühmlich bekannte Pferdezucht vor dem drohenden Untergang retten können. Glücklicherweise hätte man dies bald erkannt und von den Versuchen, die Pferdezucht zu heben, Abstand genommen.
Die nächsten Versuche werden dann später von dem Stellvertreter des Landrats v. Oven, Regierungsassessor Thielen, im Jahre 1862 unternommen. Thielen war es anscheinend gelungen, mit Unterstützung der Staatsregierung, Hengste wieder aufzustellen. Im Jahre 1863 wird in der Generalversammlung des Landw. Vereins bekanntgegeben, "daß ein Königlicher Hengst zur Beförderung der Pferdezucht in Saßmannshausen und später auch in Berleburg aufgestellt würde". Das Sprunggeld betrage 1 Taler und 5 Silbergroschen. Auch jetzt wieder wird den Mitgliedern des landwirtschaftlichen Vereins ein Zuschuß und zwar hier von 15 Sgr. zum Sprunggeld gewährt. 1864 wird die Bewilligung des halben Sprunggeldes für drei Jahre festgesetzt. Es sollen sich damals viele Vereinsmitglieder für die Hebung der Pferdezucht eingesetzt haben.
Aus den Bekanntmachungen entnehmen wir dann, daß 1863/64 anscheinend ein Senner-Hengst, 1865 aber sogar ein Graditzer Vollbluthengst im Kreise aufgestellt wurde. Der Vollblüter wird in einer Bekanntmachung folgendermaßen beschrieben: Ein Pferd sehr kräftigen Schlages von seltener Schönheit und tadellosem Gebäude, gleich geeignet zur Züchtung von Arbeits- , Wagen- und Reitpferden. Auch dieser Versuch scheint wieder gescheitert zu sein. Nach einem späteren Bericht soll im Jahre 1863 die Deckstation wieder aufgegeben sein, allerdings wird 1866 noch im Kreisblatt darauf hingewiesen, daß im Berleburger Marstall ein Königl. Beschälhengst aufgestellt sei, das Deckgeld betrage für jede Stute 1 Thl. und die Mitglieder des Landw. Vereins hätten dieselben Vergünstigungen wie früher.
Ein weiteres Aufflackern erleben wir dann im Jahre 1889, wo gleichfalls anscheinend in Berleburg wieder ein Deckhengst aufgestellt war, bei dessen Benutzung auch wie bisher die Mitglieder des Landw. Vereins dieselben Vergünstigungen hatten. Dann wird über die Pferdezucht wieder 30 Jahre lang überhaupt nichts mehr berichtet, bis nach dem Ersten Weltkrieg durch die Demobilmachung und den Zusammenbruch unseres Heeres viele Pferde berittener und fahrender Truppen im Kreise Wittgenstein zur Versteigerung oder zum Verkauf kommen. Der damalige Vorsitzende des Landw. Vereins, Landrat Dr. Kretschmar, gibt im Frühjahr 1919 bekannt, daß die Zahl der Pferde von 200 auf 787 in einem Jahre gestiegen sei. Weiter schlägt er die Aufstellung von zwei Zuchthengsten, einem mittelschweren und einem leichten Halbblüter, im Kreise Wittgenstein und zwar in Berleburg vor, da es im Süden des Kreises sehr leicht möglich sei, mit den Stuten nach Biedenkopf oder Dillenburg zu ziehen. Wie die Berleburger Grafen sich früher stets besonders für die Pferdezucht eingesetzt hatten, so schenkt auch der damalige Fürst Richard von Wittgenstein-Berleburg der Hebung der Pferdezucht besonderes Interesse. Vorübergehend werden in diesen Jahren Zuchthengste in Berleburg aufgestellt, aber wie alle anderen Versuche, so scheiterte auch dieser wieder sehr bald. Dieser kurze Überblick über die Pferdezucht im Kreise Wittgenstein zeigt uns, daß der Wittgensteiner Bauer es stets bald erkannt hatte, daß für ihn die Haltung von Pferden zur Bewirtschaftung seines Ackers ein Luxus gewesen ist. Schon an anderer Stelle ist darauf hingewiesen, daß es immerhin für die kleinen und mittleren Betriebe der Wittgensteiner Landwirte ohne Frage richtig ist, nur mit Ochsen oder sogar in der Hauptsache mit Kühen die landwirtschaftlichen Arbeiten zu verrichten. Die, wie wir eingangs gesehen haben, früher berühmte Berleburger Pferdezucht konnte nur deshalb bestehen, weil damals die Berleburger Grafen auf die Bauern einen gewissen Druck zur Haltung der Pferde ausüben konnten. Als dieser Druck nicht mehr bestand, mußte deshalb die Pferdezucht zusammenbrechen. Voraussichtlich wird sie auch künftig nie wieder zu irgendwelcher Bedeutung im Kreise Wittgenstein kommen."
Quelle: Festschrift 50 Jahre Pferdezuchtverein Wittgenstein e.V.